BERICHT

PID: Eine Frage der Humanität
Expertentagung in Mainz
Das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) ist mittlerweile fast 20 Jahre alt und nach wie vor einzigartig. Ein vergleichbares Gesetz zum Schutz menschlicher Embryonen gibt es in keinem anderen Land dieser Welt. Und trotzdem steht es in der Kritik. Nicht nur von denjenigen, die am liebsten ohne Rücksicht auf Verluste an Embryonen forschen wollen, sondern auch von denjenigen, die sich einem umfassenden Schutz menschlicher Embryonen verschrieben haben. Denn verschiedene Entwicklungen auf dem Gebiet der Bioethik zeigen, dass das Embryonenschutzgesetz erhebliche Lücken aufweist. Dies wurde erst vor wenigen Monaten durch das Urteil des Bundesgerichtshofs zur so genannten „Präimplantationsdiagnostik“ (PID) deutlich. Die Selektion von Embryonen nach bestimmten genetischen Merkmalen ist nach Ansicht der Richter nicht von den Normen des ESchG erfasst.
Unabstimmbares ist Grundlage der Demokratie
Deshalb stellt sich für eine Reihe von Unionspolitikern die Frage, ob das Gesetz in diesem Punkt nachgebessert werden muss. Von Reproduktionsmedizinern wird dagegen gefordert, verschiedene „Liberalisierungen“ vorzunehmen, um die Erfolgsquoten künstlicher Befruchtungstechniken zu erhöhen. Dieses Spannungsfeld kann auf politischer Ebene rasch in Aktivitäten des Gesetzgebers münden. Vor allem die Befürworter eines Verbots der PID sehen unmittelbaren Handlungsbedarf. Nachdem das Selektionsverfahren für menschliche Embryonen aktuell nicht strafbar ist, sollte nicht zu lange gewartet werden, um eine Gesetzesinitiative gegen die Nutzung künstlicher Befruchtungstechniken für Zwecke der Qualitätsauswahl im Bundestag einzubringen.
Dass ein solches Vorhaben berechtigt ist und sich auf überzeugende Vernunftgründe stützen kann, zeigte eine Fachtagung am vergangenen Mittwoch in Mainz. Auf Einladung der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle trafen sich Experten, um die Argumente für ein Verbot der PID zusammenzutragen. Das Ergebnis war eindeutig. Sowohl aus verfassungsrechtlicher, moralphilosophischer als auch embryologischer Sicht gibt es keine Rechtfertigung dafür, menschliche Embryonen nach ihrer „Qualität“ zu beurteilen – und sie bei nicht bestandenem Gencheck zu vernichten. Anhand der Erkenntnisse über die frühembryonale Entwicklung, die Prof. Dr. Josef Wisser (Zürich) darstellte, wurde deutlich, dass es keine „wesensverändernde“ Zäsur gibt, die es erlauben könnte, Embryonen erst nach einem bestimmten Entwicklungsschritt als Menschen, und davor als Verfügungsobjekte ihrer Eltern zu behandeln. Von der Befruchtung an, über die Nidation bis hin zur Geburt ist immer eine spezifisch menschliche Entwicklung gegeben.
Dennoch werden menschliche Embryonen in vielerlei Hinsicht nicht so behandelt, wie es ihrem Wesen als frühe Entwicklungsstadien des Menschen entspricht. Der Medizinethiker Axel Bauer, Professor an der Universität Heidelberg und Mitglied des Deutschen Ethikrates, zeigte diese Defizite auch am deutschen Embryonenschutzgesetz auf. So sei nicht nur die PID straflos, sondern auch die Herstellung bestimmter Mensch-Tier-Mischwesen. Die reproduktionstechnische Entwicklung sei vorangeschritten und ermögliche Dinge, die von den Verfassern des ESchG nicht vorhergesehen worden seien.
Professor Dr. Walter Schweidler von der Katholischen Universität Eichstätt begründete aus philosophischer Sicht, weshalb der Umgang mit dem Embryo „zu einer Schicksalsfrage für die Humanität unserer Gesellschaft in der Gegenwart und Zukunft“ werden könne – wie es in der Einladung zu diesem Bioethischen Kolloquium hieß. Vergleichende Be- und Abwertungen von Lebewesen mit menschlicher Natur träfen letztlich jeden Menschen. Daher sei die Statusfrage bezüglich des Embryos keine Frage der persönlichen Anschauung, sondern von allgemeiner Bedeutung.
Es müsse erkannt werden, dass die Menschenwürde als Rechtsprinzip nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehe. Die Würde jedes Menschen sei das Legitimationsprinzip unserer staatlichen Ordnung. Wer dieses Prinzip aushöhle, um eine Gruppe menschlicher Lebewesen von seiner Geltung auszuschließen, untergrabe die Legitimation des Staates insgesamt. Denn die Einigkeit über das Unabstimmbare sei die Grundlage der Demokratie.
Verfassung hat Vorrang vor einfachen Gesetzen
Aus verfassungsrechtlicher Sicht bekräftigte auch Prof. Dr. Christian Hillgruber (Universität Bonn), dass der menschliche Embryo Anspruch auf Achtung seines Rechts auf Leben und seiner Menschenwürde habe. Dies sei auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. Die in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aufscheinende Inkonsequenz und vor allem die mangelhafte Umsetzung der Rechte des Embryos in den einfachen Gesetzen ändere nichts an der Geltung der Grundrechte. Die Verfassung habe Vorrang vor einfachen Gesetzen und bleibe der Maßstab, an dem alles staatliche Handeln gemessen werden müsse.
In der abschließenden Podiumsdiskussion kamen dann auch Politiker zu Wort, die sich klar und eindeutig für ein gesetzliches Verbot der PID aussprachen. Dies war zum einen der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe, zum anderen die Spitzenkandidatin der CDU Rheinland-Pfalz für die Landtagswahl im März 2011, Julia Klöckner. Hüppe ist als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung besonders sensibel, wenn es um „Selektion“ und „Qualitätskontrolle“ beim Menschen geht. Entscheidend bei der Beurteilung der PID sei für ihn, dass hier menschliches Leben getötet werde. Dem gegenüber sei das Leid von Paaren mit Kinderwunsch nachrangig. Man müsse auch bedenken, dass das PID-Verfahren aufwändig und mit vielen Misserfolgen verbunden sei. Auch dieses Leid müsse in die Bilanz einbezogen werden.
Vor allem aber machte sich Hüppe dafür stark, auf dem nächsten Bundesparteitag der CDU mit einem entsprechenden Antrag ein gesetzliches PID-Verbot zu verlangen und die CDU/CSU-Fraktion zu dessen Verwirklichung aufzufordern. Hierzu könne man sich schließlich auf das neue Grundsatzprogramm der CDU berufen, in dem ausdrücklich ein Verbot der PID gefordert werde. Jetzt gelte es, Farbe zu bekennen.
Julia Klöckner, die sich als Staatssekretärin im Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium in einer exponierteren politischen Stellung behaupten muss, machte aus ihrer Überzeugung ebenfalls kein Hehl. Sie werde sich – wie schon bei der Frage der embryonalen Stammzellforschung – in der CDU klar für einen umfassenden Embryonenschutz und eine PID-Verbot einsetzen. Ob und auf welchem Wege man dann allerdings mit dem Koalitionspartner in dieser Frage weiterkomme, stehe auf einem anderen Blatt. Vermutlich müsse man für einen Gesetzentwurf auch Verbündete in anderen politischen Lagern suchen.
Lebensschutz ist kein katholisches Sondergut
In der Diskussion wurde unter den Teilnehmern die Erwartung deutlich, dass die CDU gerade in der Frage eines PID-Verbots beweisen könne, wie ernst sie es mit dem C im eigenen Namen meine. Der emeritierte Osnabrücker Sozialethiker Manfred Spieker übte aber auch Kritik am Verhalten der katholischen Kirche. Sie mache in vielen bioethischen Fragen einen „gelähmten Eindruck“. Er wünsche sich ein wesentlich entschiedeneres und politisch erkennbareres Auftreten. Das ließ sich der Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, Prof. Dr. Peter Schallenberg, nicht zweimal sagen und versicherte, künftig jedes Jahr eine vergleichbare Veranstaltung zu bioethischen Themen durchführen zu wollen. Für ihn sei es ein wichtiges Ziel, auch in der Gesellschaft für eine christlich inspirierte Politik zu werben. Hierbei sei ein unbedingter Lebensschutz von essentieller Bedeutung und keineswegs „katholisches Sondergut“.
Genau dies wurde auf der Fachtagung in Mainz in jeder Beziehung erkennbar. Keiner der Experten argumentierte mit dem Evangelium oder dem kirchlichen Lehramt. Für einen konsequenten Schutz menschlicher Embryonen spricht einfach die Vernunft. Was Christen in dieser Debatte auszeichnet, ist nicht der Inhalt ihrer Argumente, sondern ihr besonderes Engagement bei der Verteidigung der Menschenwürde. Und so könnte es letztlich dazu kommen, dass – wie Prof. Schweidler es ausdrückte – „die Christen die letzten Verteidiger des säkularen Staates“ sind. Ob das auch für die noch stärkste politische Kraft Deutschlands, die Christlich-Demokratische Union, gilt, wird ihr Bundesparteitag im November zeigen.
Der Beitrag erschien zuerst am 9.10.2010 in der katholischen Tageszeitung „Die Tagespost“.